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[12]

George Bataille, Verbot und Überschreitung, in: ders., Die Erotik (Anm. 9), S. 125.

 

Damit unterscheidet sich die Orgie vom Begehren nach einer bestimmten Person. Das Begehren bezieht sich auf ein bestimmtes, identifizierbares Objekt und setzt damit die Differenzierbarkeit zwischen dem/der Begehrenden und dem begehrten Objekt voraus. Die Orgie führt jedoch zu einer Auflösung individueller und individuierbarer Merkmale. So schreibt Bataille:

«Sie [die Orgie, D.V.] ist im Prinzip die vollendete Negation des individuellen Aspekts. Die Orgie setzt die Gleichwertigkeit der an ihr Teilnehmenden voraus, sie fordert sie. Nicht nur die eigene Individualität geht im Tumult der Orgie unter, sondern jeder Teilnehmer negiert auch die Individualität der anderen.» [12]

Die Negation der Individualität durch die Orgie markiert den Punkt, an dem die sexuelle Zirkulation zur narrativen und visuellen Metapher für die Finanzökonomie wird. Die Abstraktheit der Finanzökonomie macht eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Wertpapieren irrelevant. Wie Gekko erklärt, stellt ein Krieg eine ebenso gute Investitionsgelegenheit dar, wie die Produktion von Büroklammern. Diese durch die Abstraktheit der Finanzökonomie bedingte Entindividualisierung der Investition lässt sich mit Bataille als ein orgiastisches Merkmal beschreiben. Filme über die Finanzökonomie visualisieren eine Aufhebung der Individualität häufig in Sequenzen, die Händler auf dem Börsenparkett zeigen. So stellt bspw. Trading Places (USA 1983, deutsch: Die Glücksritter) in einer langen Parketthandelssequenz die Händler als rasende Irre dar, die ekstatisch fuchteln und schreien. Die grosse Anzahl von Händlern und das Durcheinander von Körpern und Körperteilen, führen dazu, dass in dieser Sequenz Individuen nicht mehr unterschieden werden können.

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