>>
 

Die globale Finanzkrise seit 2008 hat ein schlechtes Licht auf die sogenannten Textbook Economics geworfen. Die Unfähigkeit der professionellen Expertise, die Krise vorherzusehen, kann umgekehrt auch als eine Ursache für die massive Zunahme ökonomischer Semantiken gelten, denen allen gemeinsam ist, dass sie in Konkurrenz zu einer professionellen Ökonomik durch ein spezifisches Laienwissen die Produktion ökonomischen Wissens über die Grenzen des akademischen Feldes ausdehnen, und dabei bevorzugt auf Strategien der Visualisierung Bezug nehmen. Désirée Waibel bezeichnet diese Form der Wissensproduktion in Anlehnung an Luc Boltanski als ‹visuelle Amateursermittlung›.

In ihrem Beitrag legt sie die jüngste Studie des französischen Soziologen zu Geheimnissen und Komplotten als ein Analyseraster zugrunde, mit Hilfe dessen sie die Internetfilme von Peter Josephs sogenannter ZEITGEIST-Trilogie untersucht. Die massive Popularität insbesondere des ersten ZEITGEIST-Films von 2007 ist für sie dabei nur zu einem Teil auf den verschwörungstheoretischen Grundton des Films zurückzuführen. Vielmehr geht es ihr darum, die Struktur der visuellen Argumentation in dem ZEITGEIST-Narrativ zu verstehen, um die spezifische ‹Kompetenz› dieser ausserordentlich populären Amateursermittlung aufzuhellen.

Um das Verhältnis von Rationalität und Sexualität in Spielfilmen über die Börse geht es in dem Beitrag von Dirk Verdicchio. Die Abstraktheit und Intransparenz finanzökonomischer Prozesse sorgt hier für besondere narrative Darstellungsherausforderungen, die in Spielfilmen über die Börse allein schon deshalb bearbeitet werden müssen, um Anschlussfähigkeit für ein in der Sache nur wenig informiertes Publikum herzustellen. Ein zentrales Motiv, das nach Verdicchio zum konventionellen Repertoire von Börsen-Filmen avanciert ist, ist die Darstellung sexueller Handlungen. Diese beschreiben nicht nur eine wichtige Dimension einer «Kultur der Finanzökonomie», sondern sind zugleich als Inklusionssemantik zu verstehen, die den Eintritt in die Finanzmarktwelt reguliert.

Entlang einer Reformulierung von George Batailles Unterscheidung von Homogenität und Heterogenität arbeitet Verdicchio die These heraus, dass die Darstellung sexueller Aktivitäten in den Filmen über die Finanzökonomie auf eine Gefährdung konventioneller, bürgerlicher Ideale und Wertvorstellungen hinausläuft. In dieser Perspektive ist die Finanzökonomie immer beides zugleich: jener Schauplatz, an der die Rationalität des Homo oeconomicus zu ihrem reinsten Ausdruck kommt, aber gleichzeitig auch der Ort, an dem sich diese Rationalität in ihr Gegenteil verkehren kann.

<<  Ausgabe 05 | Seite 08  >>