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Als rhythmisch gelten demgegenüber in der Regel Bilder mit regelmäßigen Gliederungselementen, die eine sich beschleunigende, verlangsamende oder auch gleichmäßige Folge von Schlägen assoziieren lassen – also eben das, was man im Alltagsverstand als Rhythmus bezeichnet. Bis heute ist Rhythmus in der Bilddiskussion kein etablierter Begriff. Zwar hat der enge Bezug der bildenden Kunst zur Musik in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts zu einer Konjunktur auch des Rhythmusbegriffs geführt, [2] und es gab einige Versuche einer differenzierteren Aufarbeitung, die den Begriff über den Status eines theoretisch eher dünn unterfütterten Ad-hoc-Begriffs zu heben versuchten, [3] aber dies hat bis heute wenig Niederschlag gefunden, wie etwa ein Blick in die Nachschlagewerke zeigt: Während sich im Grove überhaupt kein Eintrag findet, ist derjenige im Lexikon der Kunst äußerst knapp und spricht denkbar allgemein davon, dass Rhythmus «eine wohlgefällige Gliederung der sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände, Prozesse, Kunstwerke, ihre Abstufung hinsichtlich Schwere, Volumen, Intervallen, Proportionen» [4] bewirke.

Ich möchte ich hier einige Kategorien anbieten und an Beispielen erläutern, um den Rhythmusbegriff in Bezug auf Bilder etwas schärfer zu fassen. Es ist hilfreich, dies mit Seitenblicken auf die Musik zu tun, auch wenn es mir explizit nicht um Bilder geht, die von sich aus einen Bezug zur Musik herstellen. Ohnehin ist der Begriff des rhythmos ursprünglich alles andere als auf Musik festgelegt, sondern bezeichnet laut Émile Benveniste schlicht und einfach Form – «die Form in dem Augenblick, in dem sie angenommen wird durch das, was beweglich, flüssig ist» [5]. Er ist eine raum-zeitliche Kategorie, weshalb ich einige Bemerkungen zum Thema Bild und Zeit voranschicken werde (1.), um dann die Skizze einer Rhythmustheorie zu entwerfen und am Beispiel der Basler Kreuzigung zu verdeutlichen (2.) und mich schließlich dem Moment der Diskontinuität und Ereignishaftigkeit zuzuwenden (3.).

1.

Es ist sicher nicht nötig, an diesem Ort noch einmal ausführlich zu begründen, inwiefern Bildern eine eigene Zeitlichkeit zukommt. «Zeitgestalt des Gemäldes» ist das Stichwort, unter dem Lorenz Dittmann dies behandelt hat, Gottfried Boehm hat vom «Werk als Prozess» gesprochen; beide haben deutlich gemacht, dass Zeitlichkeit nichts ist, was Bildern äußerlich widerfährt und ihnen auch äußerlich bleibt, sondern dass sie konstitutiv für sie ist. [6] Boehm bringt dafür den Werkbegriff in Anschlag, der seine eigene Problematik birgt, den er aber entschieden verteidigt. Er spricht vom «Zusammenhang von Dingsein und Werksein im Artefakt» [7], womit die Funktion des Begriffs deutlich wird: «Werk» steht für das sich zeitlich Realisierende, um das es der Betrachtung geht, ohne dass die Dimension des Dinghaften dabei außen vor bleiben könnte.

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