>>

Man kann sagen, dass Bild und Musik einander hier ein gutes Stück entgegenkommen: Während im Falle der Bilder die Rede von Rhythmus eine wie immer elementare Verzeitlichung nahelegt, macht die Musiktheorie einen großen Schritt in Richtung Verräumlichung. Der vorherrschende Eindruck ist allerdings in beiden Fällen der einer Zeitvergessenheit, und es erscheint nötig, gerade die Zeitlichkeit angemessen zur Geltung zu bringen. Interessant als vermittelnde Position ist hier John Dewey, der Kunstwerke insgesamt als Gefüge von Energien beschreibt: «Denn die Idee organisierter Energie bedeutet, daß Rhythmus und Balance nicht getrennt werden können, obschon sie gedanklich unterschieden werden können.» [11] Wenn auch im Bild Balance und Proportion nicht einfach vorliegen, so müssen sie (auch) als rhythmische Verhältnisse und damit als zeitlich gedacht werden.

Wenn man Rhythmus so als Gliederungsform versteht, die das starre Gleichmaß ebenso ausschließt wie das beziehungslose Neben- oder Durcheinander, muss man die Betrachtung nicht auf offensichtliche Symmetrien oder Rasterungen beschränken, sondern kann komplexere und auch vieldimensionale Gliederungen einbeziehen. Dewey spricht von der «gegenseitige[n] Erhellung von Teilen und einem Ganzen», die erreicht wird, «wenn alle Konstituentien eines Werks (eines Bildes, Dramas, Gedichts oder Bauwerks) in rhythmischer Verbindung stehen» und präzisiert: «[W]ann immer jeder Schritt vorwärts gleichzeitig eine Summierung und Erfüllung dessen, was vorausgeht, darstellt, und jedwede Anhäufung die Erwartung spannungsreich vorwärts treibt, sprechen wir von Rhythmus.» [12]

Die in sich stimmige Gliederung, die das ganze Bild durchdringt, ist hier zu allgemein; entscheidend scheint mir die in sich gespannte Gegenwart jedes Elements, die immer sowohl von ihrem Bezug auf ein spezifisches Vorangegangenes und insofern als Erfüllung, Verschiebung, Überraschung oder Bruch als auch im Hinblick auf ein in seiner Form erwartungsmäßig vorgezeichnetes Nachfolgendes verstanden werden muss, für das das Gleiche gilt. Gespannt ist die Gegenwart auf Gleichmäßigkeit hin, sonst könnte von einer wahrgenommenen Abweichung keine Rede sein, ohne dass sich tatsächliche Regelmäßigkeit einstellen müsste.

Das bedeutet allerdings, dass man den Gedanken des Metrums als eines vorab vorliegenden Rasters verabschieden muss. Die rhythmischen Gestalten sind nicht gespannt in ihrer Abweichung vom implizit mitlaufenden Gleichmaß oder dem symmetrisch gerasterten Bildaufbau, sondern in sich. Sicherlich spielt die metrische Gliederung als Taktschema für die Komposition eine wichtige Rolle, und auch Maler haben schematische Aufteilungen als Ausgangs- und Anhaltspunkt verwendet, aber weder die erklingende Musik noch das betrachtete Bild sind von diesen Schemata zu verstehen.

<<  Ausgabe 05 | Seite 153  >>