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[13]

Vgl. Christopher Hasty, Meter as Rhythm, Oxford 1997.

 

Außer in Ausnahmefällen sieht und hört man sie nicht, und sie sollten als temporäre Hilfskonstruktionen verstanden werden, an die sich z.B. Musiker nur um den Preis halten können, sich hinterher mühsam wieder davon befreien zu müssen, um ein Gefühl für die tatsächliche rhythmische Gestaltung zu bekommen. Als sich ereignende Form in Benvenistes Sinne ist Rhythmus jeweils spezifisch und durch eine schematische Betrachtung nicht einzuholen.

Christopher Hasty hat eine musikalische Rhythmustheorie formuliert, die dem Rechnung zu tragen versucht und  sich so deutlich und explizit von der raumfixierten Tradition absetzt. An sie kann hier angeschlossen werden. Die entscheidenden Punkte sind für Hasty die untilgbare Offenheit jedes einzelnen musikalischen Moments, seine radikale Zeitlichkeit im Erklingen, die einer Analyse verlorengeht, die alles im Vorhinein weiß, und der emergente Charakter einer Gleichmäßigkeit, deren Bezeichnung als Metrum hochgradig irreführend ist. [13] Gerade weil diese Offenheit auch für denjenigen gelten muss, der das betreffende Stück gut kennt und möglicherweise die Partitur vor sich liegen hat, und nicht nur für tatsächlich vollkommen offene frei improvisierte Musik, lässt sich mit Hastys Bestimmungen auch für Bilder etwas anfangen.

Es mag befremdlich wirken, hier von Offenheit zu sprechen, denn trotz seiner Realisierungsbedürftigkeit liegt das Bild doch ganz vor, es ist sozusagen die ständig sichtbare Partitur seiner eigenen Realisierung. Von einer Prozesshaftigkeit dieser Realisierung kann ernsthaft aber nur dann gesprochen werden, wenn es dennoch eine solche Offenheit gibt und sie sich immer wieder neu herstellt. Wenn man sich nicht damit zufrieden gibt, zwei Figuren in der simultanen, aber unscharfen Präsenz zu halten, sondern den Blick wandern lässt, um die Spannung und die bildliche Bewegung zwischen ihnen zu realisieren, so sind Zwischenraum und Auftauchen der jeweils anderen in ihrer Schärfe bei jedem Mal neu, insofern jedes Sehen jetzt stattfindet und sich nicht durch ein schon gesehen Haben substituieren lässt – Max Imdahls «sehendes Sehen».

Zwar gilt diese Offenheit für jede Blickbewegung, uns interessiert hier aber jener Verlauf, der als Realisierung des Bildes nach seinen eigenen Vorgaben angesehen werden kann (mit den Einschränkungen, die im vorigen Abschnitt gemacht wurden). Wo aber beginnt er und wo endet er? Um dies zu beantworten, muss offensichtlich auf das konkrete Bild zurückgegangen werden, das aber nicht als in sich geschlossener Kosmos, sondern in seinem Bezug auf den Betrachter als leibliches Wesen angesehen werden muss. Damit sind oben und unten alles andere als gleichwertig, und auch rechts und links tragen deutlich unterschiedene Wertigkeiten, die offenbar mit der Leserichtung unserer Schrift zu tun haben. Von hier aus stellt Kurt Badt allgemein fest:

<<  Ausgabe 05 | Seite 154  >>