Abschliessend noch ein Blick auf das jüngste Experiment, das Buch als Ausstellungsmedium zu verwenden: die ambitionierte Heftreihe 100 Notizen – 100 Gedanken als Teil der dOCUMENTA (13) in Kassel. Zusammengestellt aus Beiträgen von hundert verschiedenen Autoren und Künstlern vieler Genres (Faksimiles handgeschriebener Notizen, Auszüge aus Künstlerbüchern, Essays und Abbildungen), stellte die als ein «Ort innerhalb der dOCUMENTA (13)» konzipierte Reihe einen beachtlichen Teil der sehr weitläufigen «Ausstellung» dar, die zudem aus Performances, Installationen, Screenings, Kunst im öffentlichen Raum, Interventionen und traditionellen Galeriepräsentationen bestand.
Selbst wenn die Inszenierung der dOCUMENTA (13) – wie alle grossen internationalen Ausstellungsspektakel – durchaus auf Kritik traf, konnten bestimmte Werke über die Notizbücher auch ohne die überwältigenden räumlichen und zeitlichen Parameter der übrigen Kasseler Ausstellungslandschaft raffiniert in die Documenta integriert werden. Durch die dezente Wahl des Notizbuches, in dem das Denken noch eher spekulativ und vorläufig ist [29], erinnert die Reihe ausserdem an Harald Szeemanns Wahl des Aktenordners, den die Besucher tatsächlich öffnen – und dadurch in den Katalog der documenta 5 von 1972 intervenieren – konnten. Beide Strategien stehen für den Wunsch, die Ausstellung ganz unmittelbar für verschiedene Interpretationen oder Lesarten zu öffnen.