>>

Diese Idee der Wandlungsfähigkeit bestätigt Lionel Bovier, Gründer und Direktor des Verlages JRP/Ringier, in einem kurzen Text zur unabhängigen Verlagsarbeit von 2004: «Ein Buch zu editieren kann dem Kuratieren einer Ausstellung sehr ähnlich sein. Als unabhängiger Kurator habe ich die Ausstellung immer als ein Medium verstanden und so gesehen kann sie sehr unterschiedliche Formen annehmen – sogar die eines Buches.» [2]

Mit dieser Beschreibung bezeugt Bovier einen erkennbaren Trend zeitgenössischer Kunstpublikationen: Parallel dazu, wie «Kuratieren» immer weiter über die traditionellen museologischen Verantwortlichkeiten hinausgedrungen ist und damit einst klar definierte Rollen verkompliziert hat, hat sich auch das Buch seit den 1960er Jahren immer mehr Territorium als Ausstellungsraum erobert. Gleichzeitig verändern die elektronischen Medien das Publikationswesen, begründen neue Fragen bezüglich Veröffentlichung, Distribution und ganz grundsätzlich der Notwendigkeit des Buchdrucks selbst. Eine Betrachtung des Buches als kuratorischer Raum vermittelt somit einerseits einen Eindruck davon, wie die Praxis des Kuratorischen in einem grösseren Tätigkeitsfeld beständig neue Formen annimmt. Andererseits aber zeigt sie, dass das kritische Potential des althergebrachten Mediums gedruckter Publikationen auch heute noch lange nicht ausgeschöpft ist. [3]

Indem sich Publikationsprojekte aus dem Kunstkontext den Buch-Raum über Perspektiven aneignen, die klassisch in den Bereich des Museums oder der Galerie gehören, vermitteln sie ein Begehren, das Massenmedium «Buch» konzeptuell strategisch und sich seiner selbst bewusst zu nutzen und zu aktivieren. Doch was  bedeutet es jenseits blosser Rhetorik, das Buch explizit als einen Raum zu produzieren, in dem künstlerische, editorische und kuratorische Praktiken ineinander übergehen? Im Unterschied zum Beispiel zu jedem anderen Buch, das ebenfalls Bilder, bestimmte Forschungsinhalte oder Wissen zu einem Thema enthält? Was wären einige hilfreiche Denkmöglichkeiten dafür, das Buch als einen diskursiven und strategischen Ort abzugrenzen, der mehr ist als nur ein «zufälliger Behälter» [4]  von Informationen?

Die Tatsache, dass das Spektrum der Kunstpublikationen so breit und vielseitig ist, beweist, dass es unzählige Möglichkeiten von Stilen und Intentionen gibt, Bücher zu machen. Doch gibt es darunter eine Kategorie von Büchern, die sich auf selbstbewusste Weise mit ihrer eigenen Beziehung zur Ausstellung auseinandersetzt, über reine Dokumentation hinausgeht und stattdessen in angrenzende oder erweiterte kuratorische Räume führt – und in manchen Fällen das Buch dann sprichwörtlich zum «primären» [5]  Ausstellungsraum erhebt.

<<  Ausgabe 05 | Seite 136  >>