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Wenn man in Bezug auf Bücher von «Orten» und «Räumen» sprechen möchte, heisst das zunächst einmal, die Architektur einer Publikation zu durchdenken. Zum Beispiel, indem man die Seiten eines Buches als Äquivalent zu den Wänden einer Galerie versteht oder das Buch primär als eine Art «Raum», durch den man sich verschiedenartig bewegen kann und der alle möglichen Arten von Bezügen herstellt, aber auch, indem man den Objektcharakter einer Publikation berücksichtigt. [6] Daher konzentriert sich die vorliegende Diskussion auf Publikationen, die es ermöglichen, das Buch auf konzeptuell einzigartige Weise als eine Quasi-Galerie zu lesen: ein dreidimensionales Gebilde für raum-zeitliche Erfahrungen oder «Begegnungen mit dem physischen Raum in Echtzeit.» [7]

Zeitgenössische Experimente reflektieren oft – bewusst oder unbewusst – die frühsten Formen eines Genres oder Mediums. In der Genealogie des Buches ist die mittelalterliche Tradition der «Glosse» die wohl erste selbstreflexive und letztendlich verräumlichte Praxis in der frühen Buch- und Editionskunst. Der Pate des modernen Künstlerbuches jedoch ist der französische Symbolist und Lyriker Stéphane Mallarmé (1842–1898), der im 19. Jahrhundert bekanntermassen damit begann, Text selbst zum Bild zu machen und die Seite nicht als neutrale Oberfläche aufzufassen, sondern sprichwörtlich als «geistiges Instrument». [8]

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