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Als ein Zitat genau des sprichwörtlichen White Cube der Galerie entwarf O’Doherty das freistehende Pappgehäuse als ein weisses Quadrat. Neben einer Widmung der Ausgabe 5+6 an Mallarmés Le Livre veröffentlichte er darin ausserdem bahnbrechende Arbeiten wie die erste englische Übersetzung von Roland Barthes La mort de l’auteur (und damit der Geburt des Lesers) oder die erste Ausgabe von Dan Grahams ultra-selbstreferentiellem und ortsbezogenem Textkunstwerk Schema (damals noch unter dem Titel Poem, March 1966). Mit der Beifügung von Filmen und Klangarbeiten, Notensätzen und Anleitungen für Performances entfaltet die geöffnete Box von Aspen 5+6 einen physischen und konzeptuell komplex arrangierten, rhizomatischen Raum, der seinen Herausgeber in eine neue Spezies von Kurator verwandelte: nämlich einen, der losgelöst von der Institution des Museums operiert.

Eine Zeitschrift, die Multiples von Künstlern (z.B. Schallplatten und Poster) enthält, grenzt selbst an ein Multiple, indem sie einen Quasi-Raum zwischen Galeriekunst und massenproduziertem Buchobjekt eröffnet. Per Post an ihre Leser verschickt, wurde die Zeitschrift (und hier steht sie exemplarisch für viele andere Zeitschriften- und Buchprojekte dieser Periode) ausserdem zu einem alternativen Ausstellungsraum für die beteiligten Künstler, denn sie bot ihnen nicht zuletzt eine Möglichkeit, die Institution zu umgehen und eine direktere Beziehung mit ihrem Publikum herzustellen. [14] Was damals eine wahre Explosion unabhängiger Kunstpublikationen auslöste, war – mit den Worten der Kuratorin und Kunstkritikerin Lucy Lippard gesprochen – tatsächlich genau jener politische Traum, der «klaustrophobischen Atmosphäre des Kunstmarktes» [15] zu entkommen und stattdessen in die Sphäre der Popkultur zu gelangen, wo niedrige Preise eine Demokratisierung und Annäherung der Kunst an das Leben versprachen.

In den späten 1960er und 70er Jahren entstanden aber auch Ausstellungskataloge, die die Definition des finiten Kodex herausforderten. Nicht zuletzt als ein Mittel, um den Katalog formal in die konzeptuelle Sphäre ihrer Ausstellungen hinübergleiten zu lassen, wählten Lucy Lippard einen solchen Weg mit den Karteikartenkatalogen für ihre sogenannten «Number Exhibitions» (1969–74) und Harald Szeemann mit seinem Aktenordner für die documenta 5 (1972). Sowohl Lippard als auch Szeemann waren in ihrer kuratorischen Arbeit insbesondere von der Idee des «Chaos» beeinflusst und die editorische Entscheidung für ein nichtlineares und selbstgesteuertes Lesen – einschliesslich der Möglichkeit, dabei Informationen auszusortieren bzw. hinzuzufügen – realisiert so bestimmte Impulse der Ausstellungen auch noch lange nachdem diese selbst schon der Vergangenheit angehören.

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