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Sein Blick fokussiert sich auf ihr Zünglein, seine rechte Hand ist bereit, zum Auswägen eine weitere Münze in die von ihm aus rechte Waagschale zu legen. In diesem Setting ist er im konzentrierten Vollzug seiner Tätigkeit gezeigt. Ebenso bestehen Momente der Interaktion zwischen dem Geldwechsler und seiner Frau: Beide sind einander leicht zugeneigt. Sie haben einen gemeinsamen Sitzplatz hinter einem Tisch, der mit grünem Filz gespannt ist: es ist die banca. Ebenso gibt es Wiederholungen bzw. Wiederaufnahme von Gesten beider in ihren Armen und Händen. So sind ihre rechten und linke Arme in ihren Haltungen weitestgehend synchronisiert, kommen leichte Variationen aus den unterschiedlichen Tätigkeiten und ihren verschiedenen Bezugsobjekten ins Spiel. Ebenso ist die Haltung, mit der sie ihre jeweilige Tätigkeit ausführen, vergleichbar. Beide zeichnen sich durch einen konzentrierten Sachbezug aus, wobei der Blickwendung der Frau zur Tätigkeit ihres Mannes ein entscheidendes Vermittlungsmoment zukommt.

Insofern der Geldwechsler im konzentrierten Vollzug seiner Tätigkeit gezeigt ist, erhebt er darin auch den Anspruch auf Seriosität. Dieses wird innerbildlich in seiner besonderen Relevanz deutlich, da sich seine Tätigkeit als Tätigkeit für jemanden zeigt: für einen Kunden, wie es als Spiegelbild über den Spiegel, der prominent im Vordergrund mittig auf der banca liegt, präsent wird. Über die Figur im Spiegel ist im Bild ein Geschäftszusammenhang gezeigt, der die Tätigkeit des Geldwechsels doppelt motiviert: einerseits in einem erzählerischen Rahmen, der die Tätigkeit des Geldwechslers im Porträt plausibilisiert, und zugleich andererseits aus dem Modus seiner Durchführung seine Tätigkeit als professionell wie moralisch legitimiert. In diesem Sinne zeigt das Bild eine dreifache Sicherung des Handels: durch Kompetenz – in der fachmännischen Ausführung der Arbeit; durch die Verwendung eines Präzisionsinstruments – der Waage; sowie durch eine Ethik und die Überwachung ihrer Einhaltung – im Buchbezug und Blickvollzug der Frau des Geldwechslers.

Interessant ist dabei, dass Professionskompetenz, die sachgerechte Durchführung, und Professionsethik, die moralisch korrekte Durchführung, als zwei getrennte Sphären erscheinen, als wie auf zwei Instanzen verteilt: den Geldwechsler und seine Frau. Ihm wird bildlich die berufliche Professionalität zugesprochen, ihr die ethische Kompetenz. In der Blickwendung der Frau zur Tätigkeit ihres Mannes wird sie zugleich zur moralischen Autorität, die sich, wie das Bild im Buch zeigt, auf Maria als Mutter Gottes berufen kann – eine höhere Instanz als die von der Erbsünde befreite Gottesmutter (Maria Immaculata) kann es in irdischen Verhältnissen nicht geben.

<<  Ausgabe 05 | Seite 100  >>