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Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1, Frankfurt a. M.1997, S. 538.

 

All dem liegt die Erfahrung der notwendigen Selektivität und Kontingenz von Handlungsverknüpfungen zugrunde. Semantiken kopieren daher nicht die operative Ebene, noch handelt es sich bei den untersuchten Transformationen um strukturelle Veränderungen, die nur nachträglich semantisch abgestützt werden.

Die klassische wissenssoziologische Frage, ob Handeln und Erleben sozialstrukturell oder kulturell zuzurechnen seien, beziehungsweise ob Sozialstruktur Kultur konstituiert oder umgekehrt, die noch Mannheims Konzepten der Seinslagen und daraus resultierenden Denkstilen zugrunde lag, kann so nicht mehr gestellt werden. Zurechnungsrichtung und Konstitutionsverhältnisse werden unentscheidbar, da sich die Ausdifferenzierung von Sinnuniversen zu operativ geschlossenen Subsystemen als sich wechselseitig verstärkendes Selektionsgeschehen zwischen Strukturen der Systemdifferenzierung und semantischen Strukturen ereignet. «Semantische Strukturen» machen bestimmte Selektionslinien wahrscheinlicher, heisst es in den frühen Texten Luhmanns. Dass Semantiken somit Strukturen besonderer Art sind, wird mit der Reformulierung der Theorie als operative Theorie noch einmal explizit hervorgehoben.

«Man muß deshalb, im Anschluß an die Unterscheidung zwischen Operation und Beobachtung, die entsprechenden Strukturen unterscheiden: die Strukturen der Systemdifferenzierung und die semantischen Strukturen, die bewahrenswerten Sinn identifizieren, festhalten, erinnern oder dem Vergessen überlassen.» [5]

Anders als Gesellschaftsstruktur und Semantik sind Medien als drittes Element des vorgeschlagenen Differenzschemas weder Strukturen in den gerade explizierten Bedeutungen, noch Operationen, denn sie zählen nicht zur Gesamtheit der sinnaktualisierenden Ereignisse des Erlebens und Handelns einer Gesellschaft. Dennoch fungieren Medien als Möglichkeitsbedingungen für Erwartbarkeiten sozialstruktureller und semantischer Art. Man könnte sie als Prästrukturen bezeichnen, denn sie sind ein ganz wesentlicher Teil des «semantischen Apparates» einer Gesellschaft, dem – so noch einmal Luhmann – Vorrat an bereitgehaltenen Sinnverarbeitungsregeln; denn der Mediengebrauch einer Gesellschaft entscheidet ganz wesentlich über deren strukturelle, operative und semantische Möglichkeiten. Geht man von der Medium/Form-Differenz aus, ermöglichen sie zugleich Formbildungen, die Teil der semantischen Strukturen einer Gesellschaft sind. Medien wären somit Möglichkeitsbedingungen für die Entwicklung von Erwartungsvorgaben durch gesellschaftsstrukturelle und semantische Strukturen.

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