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Niklas Luhmann, Soziale Systeme, Frankfurt a. M. 1984, bes. Kap. 11.

 

Zugleich halten sie Potentiale bereit, wenn die Sinngrenzen des Möglichen im Kontext gesellschaftlicher Umbauten erweitert und neu ermittelt werden. Zu den gesellschaftstheoretischen Erkenntnissen vorliegender Semantikstudien gehört es, dass diese Neubegründung der Sinngrenzen für die funktionale Differenzierung auf der Basis der Selbstreferenz der Subsysteme geschieht. Sie beruht auf der theoretischen Einsicht, dass selbstreferentielle Operationsvollzüge über ihre sachlichen oder thematischen Intentionen hinaus immer auch eine Selbstbeziehung mitrealisieren. [6] Für die neuere Systemtheorie ermöglicht die Zentralität der Figur der Selbstreferenz von zugleich geschlossenen und offenen Sozialsystemen zu sprechen. Für unseren Zusammenhang lässt sich diese Einsicht als operative Geschlossenheit bei gleichzeitiger semantischer Offenheit präzisieren.

Mit der beschriebenen medial vermittelten wechselseitigen Selektionsverstärkung von Gesellschaftsstruktur und Semantik geht auch die selbstbezügliche Verdichtung der Reflexionsthemen einher. Es kann die Ausdifferenzierung und Neubewertung von Sondersemantiken sein, zum Beispiel die Aufwertung des Neuen für Wissenschaft und Kunst, des Eigentums für Recht und Wirtschaft oder das Postulat der Nichtidentität künstlerischen und religiösen Erlebens. Als differenzierungsrelevante strukturbildende semantische Artefakte werden solche Themen als Reflexionstheorien in den Wissenschaften und den jeweiligen Subsystemen vorangetrieben, deren Operationen sie seligieren. Zugleich aber bilden sie Reflexionsanlässe anderer Sinnkomplexe – ganz gleich ob in visueller, diskursiver oder metaphorischer Form. Sie stehen in fremdreferentieller Bezugnahme auch dort als thematische Ressourcen zur Verfügung, wo sie gerade nicht als Momente des operativen Vollzugs fungieren, aber dennoch zu einer kulturellen Sedimentierung der jeweiligen Semantiken beitragen.

Für das Thema Bilder des Geldes spielt nun neben sprachlichen und visuellen Medien auch noch das symbolisch-generalisierte Medium Geld eine Rolle: Als unsichtbares Medium, das in Zahlungsoperationen und Zahlungsmitteln wie Münzen, Banknoten, Schecks, in Zahlenwerken auf screens und als Gegenstand textlicher und visueller Darstellung und Reflexion sichtbar wird und als selbstbezügliches Medium, das im Handel mit Geld reflexiv wird. Wir konzentrieren unsere Untersuchung auf die bildliche Darstellung des Geldmediums in dem sich selbst erst ausdifferenzierenden Sinnuniversum Kunst und hier wiederum auf die visuelle Kunst. Die ausgewählten historisch weit auseinander liegenden Exemplare sind Lochners Weltgerichtsbild (1435), Quentin Massys' Der Geldwechsler und seine Frau (1514) und Marcel Duchamps Tzanck Check (1919).

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