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Die Darstellung des Handels in diesen Sequenzen entspricht viel eher dem von Bataille beschriebenen Gleiten von Intensitäten als den Vorstellungen rationaler Kaufhandlungen von Homines oeconomici.

Eine weitere Sequenz, die sich als Auflösung der Individualität deuten lässt, findet sich am Anfang von Oliver Stones Film Wall Street. Es handelt sich um die Szene, in der die Zuschauer Bud Fox, den Protagonisten des Films, zum ersten Mal sehen. Die Sequenz besteht aus einer Kamerafahrt, in der die Kamera in einem Grossraumbüro von einer Person zur anderen schwebt, ohne dass sie dabei eine bestimmte Person fokussiert. Die Kamera, deren Bewegung mit der der Börsenkurse auf einer Anzeigetafel synchronisiert ist, gleitet ohne zu zögern über die einzelnen Personen hinweg und unterstreicht damit das antiindividualistische Element des Börsenhandels. Sie gibt keinen Hinweis auf die Identität der Personen oder darauf, welche Personen in der weiteren Folge des Films wichtig sein könnten. Einige Personen tauchen nur in dieser Kamerafahrt auf, andere sind für den Fortgang der Handlung entscheidend. Die Eröffnung des Marktes führt auch hier zu einem Tumult. Wieder verhalten sich Personen sehr emotional und wieder zeigt die Kamera Körperteile, die nicht zugeordnet werden können.

Beide erwähnten Sequenzen charakterisieren die Finanzökonomie als eine orgiastische Organisation. Die Sequenz aus Trading Places zeigt das Chaos auf dem Handelsparkett, auf dem sich die Händler ekstatisch bis zum Selbstverlust verhalten. Die zweite Sequenz geht noch einen Schritt weiter. Während die Sequenz aus Trading Places sich auf das Verhalten der Händler beschränkt, bringt Wall Street die Auflösung der Individualität mit dem Markt selbst in Zusammenhang. Dies zeigt sich in der Korrespondenz der Bewegung des Börsentickers, der die Aktienkurse anzeigt und der Bewegung der Kamera durch das Büro. Hier entspringt der Antiindividualismus nicht dem orgiastischen Sich-verlieren der Händler, sondern er erscheint als eine Eigenschaft des Marktes, die die Händler affiziert.

Die Darstellung der Finanzökonomie als eine Art Orgie, die die Individualität der Akteure negiert, verweist wieder auf ein heterogenes Element im Sinne Batailles. Wie die Bilder, Sequenzen und Narrationen die eine sexuelle Zirkulation nahe legen, wird auch hier auf eine Überschreitung der bürgerlichen Moral- und Ordnungsvorstellungen verwiesen. Die Zitate von Gordon Gekko in Wall Street verweisen darauf, dass die Finanzökonomie einer anderen Rationalität folgt als die Produktionsökonomie. Wenn die Produktionsökonomie auf einer produktiven Verausgabung beruht, beruht die Finanzökonomie auf einer unproduktiven Verausgabung — eine Verausgabung, die, folgt man Bataille, auch der Sexualität zugrunde liegt.

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