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Urs Stäheli, Spektakuläre Spekulation. Das Populäre der Ökonomie, Frankfurt a. M. 2007.

 

So lernt die Protagonistin von Limit Up (USA 1989, deutsch: Zum Teufel mit den Kohlen) in einer Fortbildung, dass Sojabohnen an arme Länder gespendet werden – dies jedoch nicht, um diesen Ländern zu helfen, sondern um eine Knappheit auf dem Sojabohnenmarkt zu erzeugen, damit Preise und Profite erhöht werden können. Während diese einseitige Fokussierung auf ökonomische Gewinne mit den Prinzipien der Produktionsökonomie prinzipiell vereinbar ist, stellen die Filme die Unproduktivität der Finanzökonomie, die Nähe von Spekulation und Glückspiel [11] sowie das Ausmass der an der Börse erzielten Profite und erlittenen Verluste als eine groteske Transgression dar. Wie die Gewinne, sind auch die Verluste zentral für die Finanzökonomie, ohne die es keine Redistribution geben könnte.

Nachdem die Finanzökonomie nichts produziert, schafft sie auch keine ökonomischen Werte. Spektakuläre und vernichtende Verluste stehen daher im Zentrum vieler Filme wie bspw. Dealers, The Bank (AUS/I 2001, deutsch: The Bank – Skrupellos und machtbesessen) oder auch Rogue Trader (GB 1999, deutsch: High Speed Money – Die Nick Leeson Story), der vom Zusammenbruch der Baringsbank erzählt, die 1995 wegen eines Verlusts von 1,4 Milliarden US-Dollar an der Singapore Stock Exchange bankrott ging. Die Filme verbinden diese ökonomischen Transgressionen mit Eigenschaften, die Bataille als heterogene Elemente identifiziert: dekadenter Luxus, anti-bürgerliches Verhalten, Prostitution und sexuelle Zirkulation. Vor allem die Prostitution und die sexuelle Zirkulation stehen für eine Überschreitung traditioneller, konservativer Werte, die sich auf eine produktionsökonomische Ethik zurückführen lassen. Die Sequenzen, die Strip-Clubs oder auch den sexuellen Verkehr mit Prostituierten zeigen, sind daher wichtige Visualisierungen der Finanzökonomie, die in der Lage sind, das filmische Bild der Finanzökonomie als Ganzes zu charakterisieren.

Orgiastische Organisation

Die sexuelle Zirkulation als Weiterführung der Zirkulation von Aktien auf dem Feld der Sexualität kann auch mit Bezug auf Batailles Charakterisierung der Orgie interpretiert werden. Die Orgie ist für Bataille ein Aspekt des Heiligen und hat ihren Ursprung in religiösen Riten, die den temporären Verstoss gegen Ver- und Gebote ermöglichen. Wichtig für Batailles Konzept der Orgie ist, dass sich die Beteiligten in ekstatischen Wirren verlieren. Bataille beschreibt dies als einen Zustand des Furors und der Unordnung, als ein Durcheinander von Schreien, Gesten, Körpern und Emotionen. Die Essenz der Orgie ist das Fliessen von Intensitäten und die Auflösung von Grenzen.

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