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Driesch hatte beobachtet, dass Seeigeleier, die geteilt wurden, sich nicht wie erwartet zu zwei unvollständigen Embryonen entwickelten, sondern zu zwei ganzen, wenn auch kleineren Embryonen. Er schloss daraus, dass man die Embryonalentwicklung nicht mechanisch erklären könne: Schliesslich würden sich die Komponenten von Maschinen nach einer Teilung niemals wieder von selbst zu einem Ganzen zusammensetzen. Mechanismen seien durch die starre Anordnung ihrer Teile vollständig determiniert und könnten nur eine festgelegte Abfolge von Bewegungen ausführen. Die ‹harmonisch-äquipotenziellen Systeme›, durch welche Lebewesen charakterisiert seien, hätten hingegen keine festgelegten Kausalketten. Bei ihnen gäbe es eine unlimitierte Anzahl von Möglichkeiten der Störung und ihrer Regulation. Drieschs Beweisführung basierte auf einer Logik des Ausschlusses: Da sich keine Maschine finden liesse, durch deren Wirkungsweise die beobachteten Phänomene entstehen könnten, sei die mechanistische Erklärung unzulänglich und folglich die Einführung der Vorstellung einer spezifischen Lebenskraft legitim.

Diese Argumentation rief rasch Widerspruch von Seiten mechanistischer Biologen hervor. Deren Strategie beruhte nun darauf, Maschinen zu finden, mittels derer sich die Phänomene sehr wohl erklären liessen. Bereits 1901 stellte Ludwig Rhumbler anlässlich eines Vortrags von Driesch fest, dass dessen Begriff des Mechanischen sehr beschränkt sei, da er «immer allzu sehr an Maschinen mit festen, starren Bestandteilen denkt». [6] Mit der Entdeckung der flüssigen Kristalle und anschliessender Publikation durch Otto Lehmann war dann tatsächlich ein Kandidat für die Vorstellung einer flüssigen Maschine gefunden, zumal Lehmann, wie noch zu zeigen sein wird, seine Kristalle explizit in den Kontext der Maschinentechnik rückte. Dementsprechend konnten sich Biologen auf diese Kristalle berufen, um Drieschs Vorstellung von Maschinen eine andere entgegen zu setzen. Der Kristall, der bereits länger als Modell für Lebewesen fungierte, wurde nun als Argument eingesetzt: «Here we have a machine, any part of it capable of changing into the form of the original whole.» Man müsse gar nicht behaupten, dass der Organismus tatsächlich ein flüssiger Kristall sei, schreibt Thomas Hunt Morgan, «the example suffices to show that there do exist machines of which any given part can reproduce the whole form.» [7]

Flüssige Kristalle dienten auf diese Weise als Modelle für Lebewesen mit dem Ziel, die Möglichkeit einer mechanistischen Erklärung biologischer Phänomene vor Augen zu führen. Damit das gelingen konnte, musste jedoch die Lebensähnlichkeit dieser Entitäten plausibel und evident gemacht werden.

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