Tatsächlich hatte Benjamin im Kunstwerk-Aufsatz selbst schon auf solcherlei technisch re-inszenierte Aura am Beispiel der kriegstreiberischen Ästhetisierung von Politik im Faschismus hingewiesen.
Nun wird man der Hirnforschung nicht schlechthin einen Faschismus-Vorwurf machen wollen oder können, aber das ist auch nicht der Punkt, auf den es mir hier ankommt. Wichtig für die hier zu entwickelnde These ist hingegen, dass Benjamin mit «Aura» wissentlich und willentlich an einen okkultistisch höchst belasteten Begriff seiner Zeit anknüpft, dessen esoterische Verwendungen er zwar ironisierte, von denen er jedoch den mediumistischen Aspekt durchaus auch aufgriff, etwa wenn er an einer Stelle behauptete, Aura umschließe das Besondere noch des Alltäglichen ganz materiell «wie ein Futteral». [20] Gerade diese Vielschichtigkeit von Benjamins Aura-Begriff bis in den Okkultismus hinein entpuppt sich im Hinblick auf die neuen bunten Hirnbilder keineswegs als Manko, sondern als heuristisches und prognostisches Potenzial: Werden spätere Zeitgenossen sich nicht verdutzt die Augen reiben, dass am Beginn des 21. Jahrhunderts bunt leuchtende Klumpen als Darstellungen von Seelenregungen, Gefühlsfarben, Geisteszuständen und Denkakten wissenschaftliche Anerkennung fanden, nachdem ziemlich genau hundert Jahre zuvor schon einmal Geist-Emanationen und Materialisationen in spiritistischen Séancen fotografiert worden waren? Die funktionelle Bildgebung gleicht mediumistischen Praktiken, aber die Pointe dieser Beobachtung liegt gleichwohl nicht im vermeintlichen Nostalgie-Vorwurf, sondern in der damit angestrebten Wiederbelebung des Animismus.
Denn der Rückgriff auf Benjaminsche Konzeptualisierungen erweist sich noch in einer weiteren, ganz unerwarteten Hinsicht als produktiv im Hinblick auf die epistemisch-ontologische Dynamik der neuen Hirnbilder. In der vollständigen, noch nicht von Adorno edierten Fassung des Kunstwerk-Aufsatzes und an anderen Stellen entwickelte Benjamin das Konzept einer «zweiten Technik», die im Unterschied zur ersten nicht mehr auf Naturbeherrschung, sondern auf ihre Befreiung und auf eine damit verbundene Revolution der menschlichen Wahrnehmung ziele. [21] Zerstreut über verschiedene Textstücke und Fragmente schließt Benjamin deshalb in das Konzept einer «zweiten Technik» auch die Effekte neuer Bildtechniken mit ein, die als Beitrag zur Befreiung der Natur gerade auch den menschlichen Leib ergreifen und zu kollektiven, über den Einzelkörper hinausgreifenden Innervationen führen sollen: «Erst wenn sich Leib und Bildraum so tief durchdringen, daß alle revolutionäre Spannung leiblich kollektive Innervation, alle leiblichen Innervationen des Kollektivs revolutionäre Entladung werden, hat die Wirklichkeit so sehr sich selbst übertroffen, wie das kommunistische Manifest es fordert.» [22]