Benjamin, Das Kunstwerk (Anm. 15), S. 373
Fleck, Entstehung und Entwicklung (Anm. 16), S. 141f.
In diesem Zusammenhang kommt der engen Verflochtenheit der neuen wissenschaftlichen Hirnbilder mit der Alltagswelt eine besondere Bedeutung zu. Denn keineswegs verhält es sich hier so, dass Hirnbilder zunächst innerhalb des Systems Wissenschaft zirkulieren und kritisch evaluiert würden, bevor sie dann anschließend popularisiert werden. Hirnbilder sind immer schon öffentliche Bilder, auch und gerade wo sie dies nicht mitdenken – das belegte ja der schnelle, hektische und heftige Streit um die Voodoo Correlations.
Die gesellschaftliche Wirkmächtigkeit solcher Hirnbilder scheint dabei umso größer, je effizienter ihre Künstlichkeit in der wissenschaftlichen Objektivität der Bilder verborgen werden kann. [25] Schon Benjamin hatte als Besonderheit der neuen technischen Bilder hervorgehoben, dass dort mittels technischer Apparate über die Grenzen des menschlichen Auges hinweg direkt ins Innere des Dargestellten hineingezoomt und gleichzeitig die Abhängigkeit von der Visualisierungstechnik im Dargestellten zum Verschwinden gebracht werde: «Der apparatfreie Aspekt der Realität ist hier zu ihrem künstlichsten geworden und der Anblick der unmittelbaren Wirklichkeit zur blauen Blume im Land der Technik.» [26] Benjamin antizipiert damit ein wesentliches Merkmal des Visualisierungsstiles der neuen Hirnbilder, scheinen sie doch wie mit einer Kamera aufgenommen, die direkt ins Innere des Gehirns blickt, wo das menschliche Auge schlicht nichts mehr sehen kann.
Ganze Kaskaden von Visualisierungsverfahren und Sehgewohnheiten greifen hier ineinander, so dass die modernen Hirnbilder dank gesteigerter Technik einen immer effektiveren Eindruck von Natürlichkeit zu erwecken vermögen. – Wobei selbstverständlich der durch den Medienverbund erst konstituierte Realismus nicht die Objektivität der Bilder beweist oder den Realismus der Darstellung verbürgt, sondern vielmehr nur die Schlüssigkeit von Flecks Konzept des Denkstils belegt, der als «Zwang stärkster Art» wirkt, der «nicht als Gewalt bewusst wird, sondern als selbstverständliche Notwendigkeit.» [27] Die Natürlichkeit der neuen Einblicke ins Gehirn beim Denken beweist die Verbindlichkeit der Darstellungskonventionen dieser neuen Bildtechniken und leistet einen wesentlichen Beitrag zu Gültigkeit der mit ihnen ermöglichten Einsichten. Knapp achtzig Jahre nach Flecks und Benjamins Texten entwerfen die visuellen Techniken der Neurowissenschaften heute eine Bilderwelt des Gehirns, die buchstäblich als «Wirk»-lichkeit gedacht werden muss, als Raum des Wirksamwerdens kollektiver Selbstentwürfe im Spielraum der neuen technischen Möglichkeiten.