>>
 

Ernstnehmen lautete die wichtigste Strategie, um dem Streit den Wind aus den Segeln zu nehmen, die alleinige Zuständigkeit der Fachcommunity zu reklamieren und so den befürchteten Flächenbrand zu verhindern. Die Gruppe der angegriffenen Neurowissenschaftler war also gut beraten, die Kritik an den Bildern der Hirnforschung ernst zu nehmen, denn sie war Anlass zu echter Sorge, selbst wenn sie im Kreise der Experten für gegenstandslos erklärt wurde, und sie ließ sich nur in der Weise entkräften, dass seitens der Akteure kollektiv die Wissenschaftlichkeit der inkriminierten Forschungsrichtung herausgestrichen wurde. Hirnforscher wie Wissenschaftsjournalisten hatten auf diesen Einwurf reflexhaft wie Pawlows trainierte Hunde reagiert, weil die Kritik den neuralgischen Punkt angezweifelter Wissenschaftlichkeit tangierte und dieser sich mit der vagen, aber weit verbreiteten Vermutung traf, diese Forschung zeige mehr als mit rechten Dingen geschehen könne? Stand am Beginn eine im Namen kritischer Wissenschaftlichkeit vorgebrachte Skepsis an den Social Neurosciences, so führte diese Kritik dank des enormen unmittelbaren Medienechos zu einer regelrechten Beschwörung ihrer Wissenschaftlichkeit seitens der Akteure.

In dieser Hinsicht zeigt deshalb der Streit um die Zulässigkeit bestimmter in der funktionellen Bildgebung verwendeter statistischer Verfahren gleich in doppelter Hinsicht vor allem ein erstaunlich stabiles Funktionieren des Systems Wissenschaft und seiner Verkoppelung mit der Gesellschaft: Wissenschaft als autokritisches Unternehmen lebt von der permanenten Kritik – im Sinne einer kritischen Prüfung neuer Befunde, aber auch als skeptische Analyse des bisher Anerkannten. Vul mag mit seinem reißerischen Artikel schrille Töne angeschlagen haben, aber er hatte doch eindeutig im Namen der Wissenschaft seine Stimme erhoben, zur Verbesserung wissenschaftlichen Wissens aufgerufen und damit sein Recht auf Anhörung behauptet. Deshalb war sein Beitrag im Peer Review Prozess angenommen worden und deshalb musste auf die Publikation auch eine kritische Auseinandersetzung folgen (und nicht nur, weil Vul und seine Mitautoren sie so geschickt inszeniert hatten). Aller publizistischen Aufregung zum Trotz belegt dieses Beispiel also zuvörderst die besondere normative Kraft der im System Wissenschaft implementierten Regeln und Werte.

Die angegriffenen Forscher meldeten sich ihrerseits in den Foren elektronischer Meinungsbildung mit einer kritischen Evaluation der Kritik zu Wort, provozierten dadurch unabhängige Metaanalysen und bewirkten schließlich, dass nach dieser Diskussion alle Beteiligten das Problem differenzierter beurteilten. Und schließlich sei auch nicht verschwiegen, dass Vul mit seinem Paper sich zwar initial als Nestbeschmutzer hervorgetan, aber seiner akademischen Karriere damit keineswegs geschadet hat. Inzwischen hat er eine Professur für Psychologie in San Diego.

<<  Ausgabe 04 | Seite 70  >>