Blumenberg, Anthropologische Annäherung an die Rhetorik (Anm. 4), S. 413.
Über die Debatte um statistische Verfahren hinaus ist aus wissenschaftssoziologischer Sicht vor allem interessant, dass das Feld der Social Neurosciences ins Rampenlicht einer öffentlichen Auseinandersetzung geriet. Hier wurde nicht ein Randbereich der Forschung an den Pranger gestellt, sondern avancierte Spitzenforschung. Es war kein Streit um wissenschaftliche Weltanschauungen oder Außenseitermethoden, ob etwa eine klinische Studie überhaupt das richtige Verfahren sei, um den wissenschaftlichen Wert der Homöopathie oder Akupunktur zu erfassen. Hier entzündete sich der Streit vielmehr um die Frage, ob die moderne Hirnforschung sich von den gesteigerten Darstellungsmöglichkeiten ihrer Untersuchungsapparate zu übersteigerten, wissenschaftlich ungedeckten Aussagen hatte hinreißen lassen. Vorderhand schien es, der Streit sei zu einer radikalen und ausweglosen Alternative zugespitzt gewesen, wobei nur entweder der Student die Komplexität der Hirnforschung nicht verstanden oder die Community sich und ihr Publikum mit zu schönen bunten Hirnbildern betrogen haben konnte. Eine solche klare Alternative rekonstruiert den Streit nach dem Modell einer wissenschaftlichen Fragestellung.
Tatsächlich hatten Vul und seine Ko-Autoren ihrer Publikation nach diesem Schema aufgebaut und sich damit der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit versichert. Aber wissenschaftlicher Streit entsteht nur dort, wo Uneinigkeit über das Vorgehen, also die Zurichtung der wissenschaftlichen Fragen besteht. Deshalb wäre es verfehlt, die wissenschaftssoziologische Analyse in dasselbe Raster zu pressen. Im Namen der Wahrheit wurde vielmehr über die Zulässigkeit bestimmter Verfahrensweisen gestritten.
Was vordergründig ein Streit über die Gültigkeit der Ergebnisse und die Richtigkeit des methodischen Vorgehens war, war zugleich ein Feilschen um die Zulässigkeit eben der verwendeten statistischen Verfahren. Denn wissenschaftlicher Streit ist immer auch ein soziales Geschehen, auch der wissenschaftliche Konsens bleibt letztlich ein «consensus, der sich zwar nicht ausschließlich, aber auch über die Rhetorik [...] zu stabilisieren vermochte.» [8] Man mag den Studien mittels funktioneller Bildgebung die technische Komplexität ihrer Verfahrensweise, die Sophistik ihrer Datenanalyse, den Voraussetzungsreichtum ihrer Hypothesen, die geringe Zahl der untersuchten Probanden oder die abstrakte Künstlichkeit der verwendeten Konstrukte von Emotionalität und Sozialität weiterhin vorhalten, aber die stattgehabte Debatte war eine Aushandlung der sozialen Akzeptanz anhand eines Streits über ihre Zuverlässigkeitsbedingungen.