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Im Licht dieser wissenschaftssoziologischen und wissenschaftsphilosophischen Beobachtungen verkehrt sich der Frontverlauf im Streit um die Hirnbilder. Der Reduktionismus-Vorwurf verläuft sich im Dschungel neuer Forschungsobjekte, die Hirnforschung wird konstruktivistisch bunt, und plötzlich erscheinen nun ausgerechnet die zur Vernunft rufenden Autoren der Voodoo-Kritik als Vertreter einer überzogen «harten» Naturwissenschaftlichkeit. Tatsächlich sollen im Folgenden einige Argumente für diese Perspektive beigebracht und ihre Implikationen wenigstens skizziert werden. Einen wichtigen ersten Hinweis liefert dabei die bemerkenswerte Verschiebung im Streit, mit der Voodoo vom kritischen Vorwurf gegen ein spezielles statistisches Verfahren zur willkommenen Charakterisierung eines gefeierten Wissenschaftszweiges wurde, als die Medien aus Vuls zugespitzter Kritik eine Meldung über die Dignität der funktionellen Bildgebung machte. Selbstverständlich neigt öffentliche Berichterstattung zur Übertreibung, aber nicht jeder Wortwitz sitzt und schreibt sich so ins kollektive Gedächtnis ein, wie in diesem Fall: Waren die bunten Bilder der modernen Hirnforschung nicht eigentlich immer schon so faszinierend gewesen, dass sie den Verdacht genährt hatten, hier sei Zauberei im Spiel?

Es mochte noch angehen, dass sich ein lebendiges menschliches Gehirn bei der Arbeit beobachten ließe, weil der dabei gesteigerte Energieverbrauch eben messbare Spuren hinterließ, die mittels feinster Detektoren sichtbar gemacht werden konnten. Aber war die Grenze zum Fantastischen nicht dort überschritten, wo intimste Gefühle und kaum dem Subjekt selbst bekannte Motive im Umgang mit seiner Um- und Mitwelt in grellen Farben veranschaulicht wurden? Handelte es sich beim Brain Imaging nicht ganz unabhängig von den Fragen nach der Wissenschaftlichkeit der eingesetzten Auswertungsmethoden in einem bestimmten Sinne tatsächlich um «Voodoo-Science», wie etwa Newsweek getitelt hatte?

Lässt sich nicht der Versuch, unzulässige Methoden nachzuweisen, als Hinweis werten, dass heute die Gesellschaft realiter dabei ist, sich aus Bildgebung und Neurotechnik eine Wunschmaschine zu schaffen und mir ihr gleich auch noch die zugehörige Wirklichkeit? Tritt die Gesellschaft mittels funktionaler Bildgebung nicht in eine kollektives Spiegelstadium gesellschaftlicher Selbsterkenntniswünsche im Spiel neuronaler Aktivität? Hier liegt die biopolitische Brisanz dieses Bilderstreits, sie betrifft die Dynamik der Konsensbedingungen in der Hirnforschung. [9]

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