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Die Welt der neuen Hirnbilder als optisch Unbewusstes

Bilder vom Gehirn zirkulieren in wissenschaftlichen Zeitschriften ebenso wie in Nachrichten, populären Magazinen oder auf Werbeanzeigen. Selbstverständlich hatte Hirnforschung auch zuvor schon immer wieder für Furore gesorgt, aber mit den neuen Techniken ließen sich erstmals Bilder aufnehmen, die den «Geist bei der Arbeit» beobachteten. [10] Als dann auch noch pünktlich zum amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf die Zunft debattierte, ob z.B. politische Einstellungen am Gehirn ablesbar wären, [11] begann sich abzuzeichnen, dass hier nicht nur ein neues Kapitel wissenschaftlicher Visualisierung in den Neurowissenschaften aufgeschlagen würde, sondern dass diese Bildtechniken auch eine biopolitische Zäsur markieren, als dessen vorläufiger Höhepunkt die Forderung nach einem neuen Gesellschaftsvertrag gelten kann, der ohne die «Illusion Freiheit» auskomme. [12] Im Zeitalter von SecondLife fanden allenthalben wissenschaftliche Konferenzen zur Frage statt, ob den künstlichen Bildwelten der Hirnforschung ein höherer Realitätsgehalt zugesprochen werden müsse als aus dunkler Vorzeit überkommenen Selbststilisierungen einer sogenannten folk psychology.

Aber wenn inzwischen Forschergruppen wie Öffentlichkeit diese Bildtechniken nicht mehr für ein statisch-reduktionistisches Erklärungsprogramm benutzen, sondern zu neurotechnisch-visuellen Unterfütterung komplexer psychosozialer Phänomene, dann zeigt sich, wie mit den Social Neurosciences Sinn und Bedeutung sozialer Welten und symbolischer Ordnungen in den Geltungsbereich der gegenwärtigen Neuroculture geraten sind. [13] Ausgerechnet die Neurowissenschaften selbst haben sich zum Ort gemausert, wo sich die Illusion Freiheit in Form neuer Wirklichkeiten manifestiert. Ein überzeugter Materialist mag das für Voodoo halten, aber angesichts der vorfindlichen Komplexität sozialer Welten und der Vielfalt symbolischer Systeme sollte man wohl besser umgekehrt argumentieren, dass vielmehr die reduktionistische Hirnforschung ein Abwehrzauber war, sich dieser Übermächte zu entledigen.

Bunte Hirnbilder sind die Ikonen unserer Zeit. Das zeigt sich nirgends deutlicher als dort, wo sie die wissenschaftliche Praxis verlassen haben und stattdessen den Sachlogiken fremder Kontexte unterworfen werden. Hochglanzanzeigen aus der Werbung wird man kaum ihre effektvolle Manieriertheit vorhalten können. Allein schon aufgrund ihres ebenso deutlichen wie absichtlichen Verwertungskontexts taugen sie nicht als objektive Visualisierungen des Dargestellten. Aber als Bilder, die weder didaktischen Prinzipien einer Veranschaulichung komplizierter Sachverhalte, noch den Regeln wissenschaftlicher Repräsentationen als Garanten eines Realitätsgehalts unterworfen sind, werden Bilder der Werbung zum Spiegel der Marktförmigkeit von Motiven im Modus der Darstellung.

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