>>
[36]

Canguilhem, Discovery (Anm. 35), 517.

[38]

Schrödinger, Die gegenwärtige Situation in der Quantenmechanik [Anfang] (Anm. 25), S. 810.

[39]

Hans-Jörg Rheinberger, Experiment – Differenz – Schrift, Marburg 1992, S. 85.

 

Die Bezugsetzung eines solchen Modells zu dem beforschten Gegenstand unterzieht es sozusagen einem Auffassungsregime, das seine Autonomie in Frage stellt und auf die Gemeinsamkeiten reduziert, die es mit seinem Bezugsgegenstand hat. Eben diesen Vorgang des partiellen Selbstverlustes des Modellgegenstandes und der gegenseitigen Anverwandlung des Modells mit dem Bezugsgegenstand führt die Pippo-Anekdote kunstvoll übersteigert vor Augen. Das klassische Modell befindet sich sozusagen in jener Phase, in der es von Menelaos umfasst wird und sich durch beständige Gestaltwechsel zu entziehen versucht. Hier kommt wieder der in der Pippo-Anekdote diskutierte Gedanke einer gesteigerten Unmittelbarkeit ins Spiel, die sich aus der Unbestimmtheit des Modells ergibt. So, wie das sich in öffnet sich gegenüber dem komplexen und dynamischen Gegenstand ebenso wie gegenüber der vorläufig noch offenen Konkurrenz verschiedener Erklärungen für das beforschte Phänomen und wird dadurch zur Verkörperung zweier unterschiedlich charakterisierter Unbestimmtheiten. Wie Canguilhem in diesem Zusammenhang ausführt, ist nicht diejenige Hypothese die beste, die direkt zu ihrer eigenen Bestätigung führt und die auf Anhieb eine Beschreibung des jeweiligen Phänomens in einem Erklärungsschema erlaubt. Stattdessen sei es diejenige, «which obliges the researcher, by dint of an unforeseen discord between the explanation and the description, either to correct the description or to reconstruct the schema of explanation. Could not one say, similarly, that in biology the models which have the chance of being the best are those which halt our latent tendency to identify the organic with its model?» [36] Ein schlechtes Modell in der Geschichte der Wissenschaften sei, so Canguilhem, eben jenes, welches die Imagination für ein gutes halte. [37] Als die besten Modelle erscheinen dann in der Umkehrung solche, die den Gegenstand des Interesses nicht scheinbar problemlos und «klar» [38] abbilden, sondern den Blick aufhalten und in ein Spiel verschiedener Möglichkeiten verwickeln. Hans-Jörg Rheinberger hat diese Beobachtung gewissermassen zugespitzt, indem er angedeutet hat, dass vollkommen passive Abbildungen überhaupt nicht als Modelle anzusehen seien. Die Modelle in der Biologie seien, so schreibt er,

«in der Regel als epistemische Dinge bereits genügend etabliert, um als erfolgversprechendes Forschungsfeld zu gelten, und damit auch bearbeitet zu werden; und sie sind in der Regel noch nicht so weit standardisiert, daß sie bloß noch als unproblematische Subroutinen in die differentielle Reproduktion anderer Wissenschaftsobjekte eingebaut sind. Ein experimentelles Modellsystem hat so immer etwas vom Charakter eines Supplements: Es steht für etwas, durch dessen Abwesenheit es überhaupt erst wirksam werden kann. Und es drängt als Supplement dazu, durch ein ‹anderes› abgelöst zu werden. Es ist ein Modell in der Perspektive dessen, was an ihm ‹zu wünschen› übrig läßt. Es repräsentiert innerhalb eines Forschungsprogramms diejenigen ‹Fragen, die im Labor zugänglich sind›.» [39]

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