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Die neuerliche Nachzeichnung des Tangentenmotivs kann nicht einfach nur als eine Parallelerscheinung der textuellen Weiterbearbeitung von Wittgensteins Gedanken zwischen Hand- und Druckschrift verstanden werden. Vielmehr stellt sie eine eigenständige Entscheidung zur zeichnerischen Reproduktion dar, denn man hätte die Zeichnung auch weglassen können, was bei Wittgenstein im Überarbeitungsschritt zwischen Manuskript und Typoskript oft geschieht, zumal es, im Gegensatz zum Manuskript, vergleichsweise aufwendig ist, Illustrationen in einem Schreibmaschinentyposkript zu berücksichtigen. Wird aber nachgezeichnet, finden in der Gruppe familienähnlicher Vorbilder Inklusionen und Exklusionen statt, weil sie nun auf unterschiedliche Weise als regelgebend erscheinen. Erst die ausgeführte Nachzeichnung macht ein bestimmtes Motiv zur Vorzeichnung, eine  Paarbeziehung die mit jeder weiteren Zeichnung neu definiert werden kann.

Indem sich das Nach- an einem Vorzeichnen orientiert, wählt es auch aus, sodass aus einer Gruppe ähnlicher Motive einzelne Zeichnungen zu Vorlagen erhoben werden.

Die in der späteren Druckfassung verwendete Abbildung [Abb. 8] kann die Vorgeschichte und das mögliche Misslingen der Zeichnungen nicht mehr wiedergeben. Dadurch irritiert sie aber auch. Man fragt sich so etwa, warum überhaupt eine partielle Schwärzung der Tangentendarstellung vorgenommen wurde und findet sowohl ihre etwas asymmetrische Position als auch die Tatsache, dass beide Liniendarstellungen unterschiedliche Schwarz-Weiss-Segmentierungen aufweisen befremdlich. Genau das wollte Wittgenstein aber mit der Segmentierung verhindern, vielmehr ist sie in der dritten Zeichnung des zweiten Entwurfs (MS 117) und in der ersten Manuskriptfassung (MS 118) deutlich als suggestives graphisches Element eingesetzt, das sowohl den Eindruck einer partiellen Linearisierung der Kreisbahn stützen soll, als auch die Gemeinsamkeit beider Linien durch das gleiche Unterteilungssystem sowie die lineare Berührung durch seinen synchronen Verlauf aufweist.

Die mittlere Zeichnung der zweiten Entwurfsreihe zeigte bereits, wann diese hoch ambitionierte Darstellung scheitern muss, nämlich dann, wenn die Unterteilung durch eine unbeabsichtigte (oder erprobte) Versetzung der Schwarz-Weiss-Flächen gerade den erstrebten Eindruck eines Miteinander-laufens der Linien stört. In diesem Fall wurde die Unterteilung bereits durch eine Übermalung aufgehoben, die dann auch am Typoskriptentwurf nötig wurde.

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