>>
[15]

Ebd., S. 351, § 222.

[16]

Ebd., S. 351, § 219, Hervorhebung im Original.

[17]

Ebd., S. 353, § 231.

[19]

Ludwig Wittgenstein, Philosophische Grammatik, Frankfurt a. M. 1984ff., Werkausgabe Bd. 4, S. 97f.

 

Denn: «Einer Linie unwillkürlich folgen – Einer Linie mit Absicht folgen» sind auf der Ebene des Zeichnens ununterscheidbar. Auch weiß man nicht, von wem das Tun der nachzeichnenden Hand vorausgesehen wird, von einem absichtsvollen Zeichner oder von einem sonst unbeteiligten Beobachter. Soll das Kriterium für beide gelten, so meint es, dass jeder, der die Zeichnung für regelhaft hält, an ihr auch eine prognostische Qualität erkennen wird. [14] Andere Zeichnungen können unvermittelt abbrechen, während das regelhafte Nachzeichnen einer eigenen teleologischen Struktur zu folgen scheint.

Offensichtlich gehört also zum Regelfolgen das Annehmen oder Anerkennen einer handlungsleitenden Instanz, es bleibt aber die Frage, wo man sie lokalisiert: «‹Die Linie gibt’s mir ein, wie ich gehen soll.› – Aber das ist natürlich nur ein Bild. Und urteile ich, sie gebe mir, gleichsam verantwortungslos, dies oder das ein, so würde ich nicht sagen, ich folgte ihr als einer Regel.» [15] Der Nachzeichnende möchte also nicht für einen dressierten Schimpansen gehalten werden. Aber andererseits: «Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht. Ich folge der Regel blind[16] «‹Aber du siehst doch ...!› Nun, das ist eben der charakteristische Ausdruck Eines, der von der Regel gezwungen ist.» [17] Ein regelhaftes Nachzeichnen agiert in gleicher Weise blind wie Barthes Linkischer, der sich ebenfalls dem Begehren seiner Hand überlässt.

In einer hierzu passenden Überlegung verglich Wittgenstein einmal den Begriff des «Vorstellungsbildes» mit Handzeichnungen, indem er die Vorstellungen als willentlich erzeugte diskutierte, während die zeichnende Hand nicht dem Willen folge, weil ihr Ergebnis immer «anders ausfallen» und somit misslingen kann. [18] Versteht man eine Vorstellung als willentlich beeinflusste Handzeichnung, so hätte ihr Misslingen seine Ursache wiederum in ‹ungenauen› Absichten. Die Freiheitsgrade in der Handzeichnung provozieren so die psychologische Auslegung der Regelfolgethematik, schon weil sie regelhaftes und regelloses Nachzeichnen nicht unterscheidbar machen können.

Auch in der Philosophischen Grammatik findet sich eine längere Passage zum Nachzeichnen als Regelfolgen, in der der Begriff der Absicht als schwaches Differenzkriterium für die Unterscheidung regelhafter und regelloser Zeichnungen angesprochen wird: «Denken wir uns, dass jemand eine Figur im Massstab 1:10 kopiert; ist dann in dem Vorgang des Kopierens das Verständnis der allgemeinen Regel dieses Abbildens enthalten? – Mein Stift wurde von mir quasi ganz voraussetzungslos gehalten und nur von der Länge der Vorlage geführt (beeinflusst). – Ich würde sagen: Wäre die Vorlage länger gewesen, so wäre ich mit dem Stift noch weiter gefahren und wenn kürzer, weniger weit. Aber ist, gleichsam, der Geist, der sich hierin ausspricht, schon im Nachziehen des Strichs enthalten?» [19]

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