>>
 

Indem Sternenkarten durch Figurierung und Anordnung ein Stück Himmel zeigen, eröffnen sie Bewegungsmöglichkeiten auf Erden, eben so, wie Stadtpläne oder Wanderkarten Bewegungen von Akteuren im unbekannten Terrain möglich machen. Die Himmelskarte wird zum Navigationsinstrument auf Erden. Der Gebrauch von Diagrammen nimmt dabei vielfältige Formen an: Er kann – als gesteigerte Form von Nützlichkeit – auch als Operativität spezifiziert werden. Und ‹Operativität› heißt: Indem wir mit dem Diagramm etwas machen, gewinnen wir, was ohne Diagramm nur schwer oder gar nicht zu haben wäre. Um zu verstehen wie das gemeint ist, sei ein anderes Diagramm angeführt. Wir greifen dabei nicht mehr nach den Sternen, sondern den Zahlen. Nach den Zahlen ‹greifen›, wie das?

3. Zahlenbilder

Stellen wir uns einen Zahlenstrahl vor, der links negative Zahlen und rechts die positiven aufzeichnet. In der Grundschule kann man am Zahlenstrahl das Addieren und Subtrahieren lernen. Die Addition ‹5+2=7› wird realisiert, indem von der 5 aus zwei Schritte nach rechts zu ‹gehen› ist; dort ‹findet› sich die gesuchte Zahl; die Subtraktion vollzieht die ‹Bewegung› in die entgegen gesetzte Richtung: ‹7-2=5› heißt von der Sieben aus zwei Schritte nach links zu gehen. Doch der Zahlenstrahl dokumentiert auch, was das Rechnen mit Anzahlen abzählbarer konkreter Einheiten nicht vermag: wir können von fünf Nüssen nicht acht wegnehmen, doch wir können ‚5-8=-3‘ am Zahlenstrahl ‹abschreiten›. Solche Simplifizierung im Rechnen scheint vernachlässigbar zu sein; es ist nicht mehr als die unterste Stufe der Leiter des arithmetischen Elementarunterrichts. Und doch: müssen wir nicht staunen über diesen Kunstgriff der Verräumlichung? Eine geistige Tätigkeit wird in eine mechanische, ‹raumabtastende› Bewegung entlang einer sichtbaren Linie umgepolt, welche die Abfolge von Zahlen nicht einfach repräsentiert, sondern so präsent macht, dass wir mit Zahlen sogar etwas tun können.

Eine Zahl hat noch nie jemand zu Gesicht bekommen. Zahlen sind begriffliche Entitäten, unsichtbar, unkörperlich und selbstverständlich raumlos. Im Verbund mit der Bezeichnung von Zahlen durch Ziffern bannt der Zahlenstrahl jedoch die ephemere Existenz der Zahlen auf ein Blatt Papier, gibt arithmetischen Gesetzen eine anschauliche und handhabbare Gestalt. Ein sinnlich zugänglicher Zahlenraum ist entstanden, welcher Zahlen nicht nur visualisiert sondern adressiert, ihnen also einen wohlbestimmten Ort (auf dem Zahlenstrahl) verleiht und es daher möglich macht, Zahlenprobleme durch ‹handgreifliche Tätigkeiten im Zahlenraum› zu lösen. Diagramme verwandeln sich dabei in Instrumente zum Problemlösen.

<<  Ausgabe 05 | Seite 167  >>